François Benoy & Stéphanie Empain
Nachdem Luxemburg 1978 das Projekt eines eigenen Atomkraftwerkes in Remerschen stoppte, gab die französische Regierung wenige Monate später und ohne weitere Rücksprache den Startschuss für den Bau eines deutlich grösseren Atomkraftwerkes als ursprünglich vereinbart, in Cattenom. Mehr als 40 Jahre später möchte Paris auch die Verlängerung des Betriebs der Reaktoren vor unserer Haustür möglichst ohne weitergehende Mitbestimmung der Nachbarstaaten und juristische Einspruchsmöglichkeiten genehmigen.
Nicht viel mehr Rücksicht lässt die belgische Regierung walten: Anfang 2016 startet ein Pannenreaktor in Tihange, ohne dass die Mängel behoben oder auf die in einem Expertengutachten erhobene Kritik der luxemburgischen Regierung eingegangen worden wäre. Auch wurden 2015 die Laufzeiten einiger belgischer Reaktoren kurzerhand um 10 Jahre verlängert, ohne Einbeziehung der Nachbarländer, und grenzüberschreitende Umweltstudie, was gegen geltendes Recht verstieß. Im April 2020 erfährt Umweltministerin Carole Dieschbourg dann über Umwege, dass die Grenzregion zu Luxemburg für den Bau eines Atommüllendlagers für hochradioaktive Abfälle in Frage kommt.
Ganz diplomatisch war keine dieser Prozeduren: in jedem Fall fand leider keine grenzüberschreitende Zusammenarbeit statt und Luxemburg wurde mehr oder weniger vor vollendete Tatsachen gestellt.
Die Atomlobby kämpft immer mit harten Bandagen: auch in Brüssel lässt sie gerne mal über ihre Mitstreiter in Pro-Atom-Regierungen vermeintlich ungefährliche Wortregelungen in Gesetzestexte einfließen, die ihr nicht nur weitgehende prozedurale Freiheiten schaffen, sondern auch den Zugang zu den Geldtöpfen sichern sollen. Und so wird Atomkraft bei manchen auf einmal erneuerbar und klimafreundlich.
Wer also gegen Atomkraft kämpft, muss auf der Hut sein und darf auch nicht davor zurückschrecken, Alarm zu schlagen, wenn es nötig ist. Luxemburg hat sich inzwischen zusammen mit Österreich auf europäischer Ebene einen Namen im Kampf gegen die Förderung der Atomkraft gemacht. Beide Regierungen haben gezeigt, dass sie nicht davor zurückschrecken, vor den Europäischen Gerichtshof zu ziehen, wenn unfaire Wettbewerbsbedingungen für die Atomlobby zementiert und massive Steuergelder für Atomkraftwerke verprasst werden sollen, die dann bei den erneuerbaren Energien fehlen. Leisetreter sind im Kampf gegen Atomkraft schnell überrumpelt.
Luxemburg muss im Kampf gegen Atom eine starke Stimme behalten. Deshalb war die deutliche Kritik von Umweltministerin Dieschbourg an der Verfahrensweise ihrer belgischen Amtskollegin Marie-Christine Marghem richtig und hat bereits erste Früchte getragen. Die Initiative von Carole Dieschbourg hat sowohl in Wallonien als auch in Luxemburg eine Welle des Protests gegen ein mögliches Atom-Endlager an unserer Grenze hervorgerufen. Viele luxemburgische und wallonische Gemeinden, die Chamber, die luxemburgische Zivilgesellschaft und sehr viele Bürgerinnen und Bürger haben sich mobilisiert und Stellungnahmen gegen Atommüllendlager an unserer Grenze nach Brüssel geschickt.
Die intransparente Vorgehensweise der belgischen Ministerin, nicht nur gegenüber Luxemburg, sondern auch gegenüber ihren eigenen Landsleuten und ihren eigenen politischen Verantwortlichen, ist auch in der belgischen Öffentlichkeit scharf kritisiert worden. Mit dem Resultat, dass die belgische Regierung nun mehr Mitentscheidung und eine bessere Akteneinsicht gewähren will; etwas das sie vorher partout abgelehnt hatte. Zudem stehen jetzt viele wallonische Bürger an unserer Seite.
Eine starke Stimme in der Anti-Atom-Politik garantiert uns auch das Atomhaftungsgesetz, das vor zwei Wochen in der Chamber angenommen wurde. Neben seiner eigentlichen Funktion – der Schaffung einer möglichst einfachen, gerechten und wirksamen Möglichkeit um auf Wiedergutmachung und Schadensersatz bei Atomunfällen zu prozessieren – bringt dieses Gesetz unsere Nachbarländer in Zukunft auch dazu höhere Versicherungssummen einkalkulieren zu müssen, wenn sie Atomkraft weiter fördern. Dieses Gesetz hat daher auch eine präventive politische Funktion. Hoffen wir, dass es nie aktiv zur Anwendung kommen muss.
Das Gesetz ist ein weiterer Bestandteil der luxemburgischen Anti-Atom-Politk, die sich politisch und juristisch wappnen muss. Dabei geht es nicht darum, Streit mit unseren Nachbarländern zu suchen – den gibt es nicht – sondern um Politik und Diplomatie auf Augenhöhe.
François Benoy (déi gréng) ist Präsident der parlamentarischen Umweltkommission und Berichterstatter des Atomhaftungsgesetzes
Stéphanie Empain (déi gréng) ist aussenpolitische Sprecherin der grünen Fraktion und Mitglied der parlamentarischen Umweltkommission
Erstveröffentlichung im Luxemburger Wort, 13. Juni 2020