Nächster Halt: Nationaler Bürgerrat

Wie wir unsere Demokratie durch mehr Beteiligung stärken können

In meiner Stadt entscheidet nur eine Minderheit darüber, wie die Schulen unserer Kinder aussehen, wie sicher unsere Fahrradwege sind, ob verkehrsfreie Zonen ausgebaut werden und wie schnell die Stadt auf Klimaneutralität umschwenkt. Über 70% der Einwohner*innen der Hauptstadt haben nicht die luxemburgische Nationalität. Doch hatten sich bis Ende Februar lediglich 8,1% von ihnen zur Teilnahme an den Kommunalwahlen registriert.

Es ist in der Tat bedauernswert, dass sich bis jetzt nicht mehr nicht-luxemburgische Personen eingeschrieben haben, denn die politische Beteiligung aller Einwohner*innen Luxemburgs – egal welcher Nationalität – ist auf Gemeindeebene absolut unverzichtbar, um langfristig das harmonische Zusammenleben und eine gesunde Demokratie zu gewährleisten.

Ich bin derzeit viel in der Stadt unterwegs und spreche die Leute auf der Straße, vor Supermärkten und in Cafés an. Die allerwenigsten sind eingeschrieben oder wissen über ihr Wahlrecht und die Sinnhaftigkeit einer Einschreibung Bescheid. Im Gespräch gelingt es aber oft schnell, sie davon zu überzeugen. Ich hoffe, dass gerade am heutigen Samstag, dem Nationalen Tag der Einschreibung, nochmals viele nicht-luxemburgische Einwohner*innen ihr Wahlrecht in Anspruch nehmen.

Um die Menschen zur Einschreibung zu bewegen reicht es nicht aus, als Gemeinde nur einen Flyer zu verteilen oder eine Anzeige zu schalten, sondern man muss auf die Leute zugehen, ihnen ein Angebot machen, sie ernst nehmen und auf ihre Sorgen eingehen. Es gilt, die Menschen permanent einzubinden und aktiv dafür zu sorgen, dass nicht nur eine kleine Minderheit entscheidet. Ich möchte in einer Stadt leben, in der alle mitentscheiden und dies nicht nur alle 6 Jahre bei den Kommunalwahlen.

Gute Umsetzung ausschlaggebend

Wenn wir als Staat und Politiker*innen das Vertrauen der Bevölkerung nicht weiter verlieren, gegen Politikverdrossenheit vorgehen und unsere freiheitliche Demokratie stärken möchten, dann führt kein Weg daran vorbei, unsere repräsentative Demokratie mit partizipativen Elementen auf lokaler und nationaler Ebene zu stärken.

Eine aktive Bürgerbeteiligung erlaubt es, die Erfahrungen der Bürger*innen einzubinden und die gesellschaftliche Unterstützung für die zugrundeliegenden Planungen und Entscheidungen zu steigern. Damit Bürgerbeteiligung funktioniert, muss sie allerdings von Profis organisiert und gut kommuniziert werden, transparent und ergebnisoffen sein, und innerhalb eines klar definierten Rahmens stattfinden.

Durch die vielfältigen Methoden, Einsatzszenarien und Entscheidungsebenen gibt es in Punkto Beteiligungsprozess kein perfektes und auf sämtliche Situationen übertragbares Modell, aber es gibt zahlreiche Erfahrungswerte.

Ein weniger gelungenes Beispiel für Beteiligung ist die französische Convention citoyenne pour le climat. Sein Versprechen, alle Vorschläge zu übernehmen, konnte Präsident Macron schließlich nicht halten. Somit hatte er das Vertrauen der Bürger*innen schnell verspielt.

Biergerkommitee und Klima-Biergerrot ernst nehmen

Auch in Luxemburg gab es in den letzten Jahren mehrere partizipative Prozesse, aus denen wir wertvolle Erfahrungen ziehen können. Die strukturiertesten und umfassendsten Beteiligungsprozesse wurden im Bereich der Klimatransition angestoßen, der größten Herausforderung für unsere Gesellschaft, die wir nur durch die Handlungsbereitschaft der breiten Öffentlichkeit meistern können.

Im Rahmen der Initiative Luxembourg in Transition rief Landesplanungsminister Claude Turmes 2021 das Biergerkommitee Lëtzebuerg 2050 zu der Frage ein, wie Luxemburg sein Territorium organisieren soll, um 2050 klimaneutral zu sein. Bevor die 30 Teilnehmer*innen sich in Sitzungen über ihre Empfehlungen berieten, konnten sie sich mit Expert*innen eine gemeinsame Wissensbasis aneignen. Dieses Beispiel der Beteiligung hat Vorzeigecharakter, unter anderem wegen der langen Zeitspanne, während der die Gruppe ihre 44 Empfehlungen ausarbeiten konnte. Ihre Feststellung, dass der Flächenverbrauch gebremst, Verdichtung der Städte gefördert und die Fragmentierung der Landschaft gestoppt werden muss, hat einen deutlichen Niederschlag im neuen Landesplanungsprogramm (PDAT 2023) gefunden.

Im Januar 2022 ergriff der Premierminister mit der Gründung des Klima-Biergerrot eine weitere Initiative um die Gesellschaft in klimapolitische Fragen einzubinden. Am Ende des 8-monatigen Prozesses stellten die 100 Klimabürger*innen ihren Endbericht mit 56 Vorschlägen für die Verstärkung der Klimapolitik vor. Aus ihren Forderungen geht klar hervor, dass die beteiligten Bürger*innen in vielen Klimafragen durchaus bereit sind weiter zu gehen als die Politik es bisher mehrheitlich war. Genau wie das Biergerkommitee fordern auch die Klimabürger*innen ambitiöse Klimaschutzmaßnahmen, und das umgehend.

Eine ernstzunehmende Beteiligung beinhaltet, dass die Vorschläge der Teilnehmer*innen ernsthaft geprüft und in die Überlegungen der Politik mit einfließen. Denn die Bürger*innen haben Recht, wenn sie sagen, dass wir ambitiöse Politiken in allen Bereichen brauchen, um sicherzustellen, dass auch im Jahr 2050 unsere Kinder eine gute und lebenswerte Zukunft vor sich haben. Hier sind nicht nur die beteiligten Minister*innen, sondern die gesamte Regierung und sämtliche Fraktionen der Abgeordnetenkammer gefordert, Verantwortung zu übernehmen.

Einen Nationalen Bürger*innenrat schaffen

Nach diesen Erfahrungen stellt sich die Frage, wie man den strukturierten Dialog mit den Bürger*innen in Luxemburg weiterdenken kann. Eine wertvolle Inspirationsquelle findet sich bei der deutschsprachigen Gemeinschaft in Belgien. Ihr Bürgerdialog fußt auf zwei Gremien, dem Bürgerrat und der Bürgerversammlung. Letztere wird per Los bestimmt und bespricht Themen, die zuvor vom Bürgerrat ausgewählt wurden, um möglichst einstimmige Empfehlungen ans Parlament weiter zu geben.

Wie ich es bereits in meinem Bericht zum Haushaltsplan 2021 vorgeschlagen habe, können wir das ostbelgische Modell aber nicht einfach übernehmen. Wir sollten ein eigenes, den luxemburgischen Begebenheiten angepasstes, Bürgerrat-Modell in Zusammenarbeit mit den Wissenschaftler*innen der Uni sowie den Expert*innen und Bürger*innen des Biergerkommitee, des Klima-Biergerrot und aus anderen Beteiligungsprozessen entwickeln. Ein hiesiger institutionalisierter Bürger*innenrat sollte autonom funktionieren, im Auftrag des Parlamentes und auf Eigeninitiative arbeiten können, repräsentativ sein, eine klare Methodologie haben und laufend erneuert werden.

Auch die Gemeinden sind gefordert

Es sind allerdings die Gemeinden, die dem Alltag der Bürger*innen am nächsten sind. Ihre Rolle bei der Beteiligung der Bevölkerung ist demnach grundlegend. Auch wenn bei den neu geschaffenen Klima- und Naturpakten partizipative Elemente gefördert werden, so gibt es immer noch große Unterschiede zwischen den Kommunen.

Die Gemeinde Düdelingen sticht mit ihrer Beteiligung der Bürger*innen, wie etwa dem kommunalen Bürgerrat und dem Bürgerbudget hervor. Gerade aber auch in einer Stadt wie Luxemburg, mit großen Herausforderungen und einer diversen Population muss der Beteiligung aller Einwohner*innen eine viel stärkere Priorität eingeräumt werden.

Bürgerbeteiligung ist eine sehr große Chance, das demokratische Defizit zu überwinden, das Zusammenleben zu fördern und als Gesellschaft schneller und besser auf die großen Herausforderungen reagieren zu können. Wir haben gute Erfahrungen mit Öffentlichkeitsbeteiligung in Luxemburg gesammelt. Diese gilt es nun auszubauen.

Darum geht es auch bei der von mir beantragten Orientierungs-Debatte zur Bürgerbeteiligung, am Dienstag in der Chamber. Wir sollten diese Debatte und auch die kommenden Monate nutzen, um auf den Erfolg der Klima- und Transitionsforen aufzubauen und sowohl nationale als auch kommunale Konzepte für Bürger*innenräte zu entwickeln und zu institutionalisieren – im Sinne einer starken Demokratie.

François Benoy ist Abgeordneter von déi gréng und Gemeinderat in der Stadt Luxemburg

Erstveröffentlichtung am 18. März 2023 im Luxemburger Wort.