Zukunftsperspektiven für eine krisenfeste Landwirtschaft

François Benoy, Abgeordneter déi gréng

Während der Coronakrise haben die Verbraucher gemerkt, welche vitale Rolle die Landwirtschaft spielt. Als Produkte vom anderen Ende der Welt auf einmal nicht mehr selbstverständlich in Supermarktregalen zu finden waren, wurde vielen klar, wie wichtig lokal produzierte Lebensmittel und kurze Lieferketten sind. Die Landwirtschaft stellte sich – wie andere Berufszweige – als das heraus, was sie immer schon war: systemrelevant. Plötzlich wuchs die Nachfrage nach regionalen Produkten und die Menschen wollten die lokalen Produzenten unterstützen.

Leider blieb die Krise jedoch auch nicht vor der Landwirtschaft stehen. Da Gaststättengewerbe und Kantinen während des Lockdowns geschlossen waren, fielen wichtige Abnehmer weg und die Einnahmen minimierten sich. Deswegen ist es umso wichtiger, der Landwirtschaft nun unter die Arme zu greifen. Wir brauchen einen „Neistart“ über alle Wirtschaftszweige hinweg, also auch in der Landwirtschaft. 

Aufgrund ihrer elementaren Rolle werde ich als Berichterstatter des Haushaltsgesetzes 2021 die Landwirtschaft und ihre Zukunftsperspektiven im Parlament thematisieren. Denn sie ist mindestens so elementar wie andere Wirtschaftszweige – ihre Wichtigkeit bemisst sich eben nicht nur an ihrem Beitrag zur wirtschaftlichen Wertschöpfung. Sie darf deshalb nicht in Vergessenheit geraten.

Die Bürger tragen die Agrarwende mit 

Unsere Landwirtschaft befindet sich aufgrund der falschen politischen Entscheidungen der letzten Jahrzehnte in einer ungünstigen Lage. Etwa durch Förderungen, die an die Größe des Betriebes gekoppelt sind – also viel Geld für flächenmäßig große Betriebe. So wachsen diese exponentiell und stehen unter hohem Investitionsdruck, während kleine Strukturen weniger unterstützt werden und riskieren wegzufallen. Dies führt zu einer Intensivierung der Landwirtschaft, Überproduktion, Verlust von Bodenfruchtbarkeit und einer Verschlechterung der Wasserqualität. Dies bestätigt auch der jährliche Bericht über den „Plan du développement rural“ des Landwirtschaftsministeriums.

Neben diesen aktuellen Fragen bleiben auch große Herausforderungen unserer Zeit weiterhin ungelöst: allen voran das rasante Artensterben und natürlich die Klimakrise. Dabei ist die Landwirtschaft der Wirtschaftszweig, der diese Veränderungen an vorderster Front und mit den heftigsten Folgen spürt: Dürren, Hagel, Überschwemmungen, Hitzewellen, gefolgt von Ertragsverlusten, steigenden Wasserkosten und allgemeiner Sorge um die Zukunft des Sektors.

Einer Umfrage des Mouvement écologique zufolge, meinen 71% der Befragten, dass nun die Zeit sei, unser Wirtschaftssystem zu reformieren, wobei 25% die Förderung lokaler Produktion am wichtigsten finden. In einer weiteren Umfrage fand die Steuerberaterfirma Atoz, dass 90% der Bürger Veränderungen in unserer Gesellschaft für nötig halten. 49% der Befragten sind der Meinung, dass unser Konsumverhalten überdacht werden muss. Die Bürger sind also bereit, die Agrarwende mitzutragen.

Diese Chance muss die Politik und die Landwirtschaft nutzen, um unsere Landwirtschaft zukunftsfähig zu gestalten. Damit die Konsumenten hochwertige regionale Produkte in den Supermärkten finden und so die lokalen Betriebe unterstützen.

Die aktuelle Krise als Chance auf Neuerfindung

Die Zukunft unserer Landwirtschaft liegt in der nachhaltigen Produktion hochwertiger Nahrungsmittel für den regionalen Markt, in diversifizierten Betrieben und einer solidarischen Landwirtschaft. Dies geht einher mit lokalen Verarbeitungsstrukturen und einer regionalen Vermarktung, die sich direkt an die Konsumenten richtet. 

Diese Notwendigkeit wird immer mehr anerkannt. Das Koalitionsabkommen der Regierung hält die Unterstützung der Diversifizierung der Landwirtschaft insbesondere in den Bereichen des Obst- und Gemüseanbaus, der Fleischproduktion, bei erneuerbaren Energien und alternativen Kulturen sowie in der Kreislaufwirtschaft als politische Prioritäten fest. 

Für mehr Resilienz und Nachhaltigkeit brauchen wir eine wirtschaftlich und sozial sinnvolle Neugestaltung der Lebensmittelsysteme: kürzere Produktions- und Lieferketten im Einklang mit Umwelt-, Klima- und Tierschutz, gesund und bezahlbar für Konsumenten und mit fairen Preisen für Landwirte und Winzer. Die Krisenbewältigung darf weder auf europäischer noch auf nationaler Ebene die Bemühungen für mehr Nachhaltigkeit bremsen: erkannte Probleme sollten schon während der Krisenbewältigung angegangen werden, nicht erst danach.

Deswegen brauchen wir den „Neistart“ auch im Wirtschaftszweig Landwirtschaft. Das Maßnahmenpaket der Regierung beinhaltet positive Ansätze, wie etwa die Förderung lokaler Produkte als Teil des COVID-19-Aufbauplans, die Schaffung eines Ernährungsrates, der die Regierung in Sachen Ernährungspolitik beraten wird, und die Unterstützung der solidarischen Landwirtschaft.

Der zweite nationale Aktionsplan für die Förderung der biologischen Landwirtschaft, der Anfang des Jahres präsentiert wurde, bietet ebenfalls konkrete Stellschrauben, um die Landwirtschaft resilienter zu gestalten und insbesondere die biologischen Betriebe und solche die es werden möchten zu unterstützen. Denn die Nachfrage nach Bioprodukten ist groß. Nach Angaben des Statec, geben luxemburgische Haushalte 12 Prozent ihrer Lebensmittelausgaben für Bioprodukte aus. Der Großteil dieser Produkte wird jedoch aus dem Ausland importiert.

Verarbeitungs- und Vermarktungsstrukturen, Sensibilisierungsmaßnahmen und wissenschaftliche Forschungen im Bereich der biologischen Landwirtschaft werden im Rahmen des Aktionsplans gefördert, um den Landwirten unter anderem zu ermöglichen, der steigenden Nachfrage an biologischen Produkten in den öffentlichen Kantinen besser gerecht zu werden. Um möglichst viele Betriebe dazu zu bewegen, auf die biologische Landwirtschaft umzustellen, sollen die öffentlichen Zuschüsse für die biologische Landwirtschaft am vorteilhaftesten sein.

Gestaltungsmöglichkeit der GAP ausschöpfen

Die Gemeinsame Agrarpolitik der EU (GAP) nach 2020 wird nicht zu der ambitiösen Reform, die die Landwirtschaft eigentlich nötig hätte. Die neue GAP bietet jedoch einige Stellschrauben, die wir jetzt nutzen müssen, um die Preise für Agrarprodukte, ebenso wie die Zufriedenheitswerte der Landwirte, zu stabilisieren. Täglich verschwinden in der EU hunderte bäuerliche Betriebe, die sich aufgrund von Wachstumsdruck und Verschuldung nicht mehr über Wasser halten können und von größeren verschluckt werden. Während europaweit die Boden- und Wasserqualität sinkt und sich das Auftauchen von antibiotikaresistenten Keimen vermehrt, schreitet zudem der Verlust der Biodiversität in rasantem Tempo weiter. Diese Trends müssen wir endlich stoppen.

Die nächste GAP verspricht zwar eine Umstellung auf eine nachhaltigere, ergebnisorientierte Agrarpolitik und mehr Freiheit für EU-Staaten bei der Gestaltung „nationaler Strategiepläne“, setzt aber nur bedingt den Rahmen für die regelmäßige und wirkungsvolle Überprüfung der Ergebnisse dieser Strategien und verharrt prioritär auf einer Logik der Flächenprämien, statt der Belohnung von Leistungen Rechnung zu tragen, etwa in Bezug auf die Umwelt oder das Klima.

Das nationale Agrargesetz wird an die neue GAP angepasst werden. In diesem Rahmen sollen auch Investitionshilfen vermehrt in Richtung Qualität, Nachhaltigkeit und Tierwohl fließen, statt allein der Wachstumslogik des „immer größer“ zu gehorchen.

Die Flexibilität, die sich aus der nächsten GAP ergibt, muss in diesem Sinne maximal genutzt werden. Der Strategieplan für Luxemburg für die Periode bis 2027 ist eine einzigartige Chance, zusammen einen exemplarischen Plan für eine ökologische Transition in der Landwirtschaft und dem Weinbau vorzulegen und dem gesamten landwirtschaftlichen Sektor eine solide Zukunftsperspektive zu geben. 

Gastbeitrag im Allianz-Info der Bauerenallianz, Dezember 2020